Kinos in Lennep

30 Dezember 2011 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

Dieser Tage hieß es im Onlinemagazin www.waterboelles.de: Die Remscheider und Remscheiderinnen im Rentenalter werden sich vielleicht erinnern, wie viele Kinos es nach dem zweiten Weltkrieg noch in Remscheid gab, und man bezog sich dabei auf einen Bildband meines Jugendfreundes Rolf Lotzmann mit dem Titel „Remscheid. Ein verlorenes Stadtbild“, erschienen 1994 im Wartberg-Verlag. Dort gibt es u.a. ein Bild des ersten Remscheider Capitol –Theaters an der oberen Alleestraße, dessen Aufnahmejahr unschwer zu erraten ist, denn die Olympiareklame deutet auf 1936/37 hin.

Auch in Lennep hat es bis lange nach dem Zweiten Weltkrieg noch Lichtspielhäuser gegeben. Ich erinnere mich noch sehr gut daran, dass meine Freunde und ich am Alten Markt im Union-Theater auf den billigen sog. Rasiersitzen, das Kinn in Richtung der hoch gelegenen Leinwand gereckt, in den ersten drei Kinoreihen saßen und am liebsten amerikanische Western anschauten, mit John Wayne, Richard Widmark und Henry Fonda. Auch amüsierten wir uns über die Darstellung deutscher Soldaten in den ersten US-Kriegsfilmen. Es ging los, wenn die durch eine bereits stark in Mitleidenschaft gezogene Schallplatte erzeugte Eingangsmelodie verklungen war, der Vorhang sich zur Seite bewegte und die Vorfilme und die Wochenschau begannen. Als Eingangsmelodie diente lange Zeit die single von Billy Vaughn – Sail along silvery moon, später die Filmmelodie „Eine Reise ins Glück“ aus dem gleichnamigen deutschen Film von 1958.

Das zweite Kino, das die Kriegszeit überstanden hatte, war das Moderne Theater an der Wallstraße hinter dem Kölner Hof. Dort ging man lange Zeit am Donnerstag zum Tag des guten Films. Dieses Kino galt als bürgerlicher, und man zeigte dort z.B. zum Kriegsthema statt der US-Schinken den Film „Die Brücke“, woran ich mich noch gut erinnern kann. Wir waren damals noch keine sechzehn Jahre alt und durften trotzdem rein. Kartenabreißer mit Taschenlampe war ein Herr Wetter, ein früher Schulkamerad meines Vaters. Wenn meine Oma nachmittags ins Kino ging, plünderte ich zuhause am Mollplatz die Zuckerstückchen in der zinnernen Dose im Zigarrenschränkchen meines bereits verstorbenen Großvaters.

Selbst den Älteren von uns ist vielleicht nicht bekannt, dass dieses Moderne Theater auf der ehemaligen Außenfläche des Kölner Hofs lag, wo um die Jahrhundertwende der Lenneper Wirt Hermann Windgassen seinen teilweise überdachten Biergarten bewirtschaftete. Aus dieser Zeit gibt es noch schöne Bilder. Wer hätte damals gedacht, dass aus dieser Dynastie Windgassen schon bald ein sehr bekannter Opernsänger und in der weiteren Generation der Kammersänger Wolfgang Windgassen hervorgehen würde, an den sich so manche Oma wegen seines Timbres noch erinnern wird. Auch der Kapitän a.D. der Handelsmarine, der später in Lennep als teilzeitbeschäftigter Stadtarchivar und Sippenforscher wirkte, nämlich Paul Windgassen, gehörte hierher. Ihm verdankt das Remscheider Stadtarchiv viel Material über das Alte Lennep. Anders als seine Sippe ging er nicht nach Murnau in Oberbayern, und anders als sein Vater, der einst in den 1870er Jahren in Lennep das vereinsmäßige Gesangswesen begründet hatte, sah man ihn nicht in einer Lederhose und mit der alpenländischen Langpfeife. Irgendwie war die gesamte Familie nicht nur überdurchschnittlich musikalisch, sondern hatte durchgehend auch etwas Theatralisches. Um die Wende ins 20. Jahrhundert, als Hermann Windgasen den Kölner Hof betrieb, begrüßte er übrigens nach den Erinnerungen de Lenneper Baumeisters Albert Schmidt das Neue Jahr jeweils mit der Trompete von seinem Wohnhaus an der Karlshöhe über den Bahnhof hinweg bis hinunter ins Weichbild des Städtchens mit seiner Trompete: Das alte Jahr vergangen ist.

Aber zurück zum Thema Kino. In meinem Lenneparchiv fand ich Unterlagen, die das Thema der Lenneper Kinos gerade auch mit dem zurzeit aktuellen Thema der Jahreswende verbindet. Auch wenn die Datumsangabe fehlt, so lässt sich doch aus einer historischen Zeitungsseite erkennen, dass diese aus dem Jahre 1925/26 stammt, denn die Lenneper Turngemeinde 1860 lud z.B. für Freitag, den 1. Januar 1926 abends um 5 Uhr zur nachträglichen Weihnachtsfeier in den Berliner Hof und das Café Grah bat für „heute Abend“ zur Silvesterfeier am 31. 12. 1925.

Nicht zu übersehen waren auch die Anzeigen der Lenneper Kinos. Dabei ergibt sich schon bei der oberflächlichen Durchsicht, dass es im Jahre 1925 noch drei Lenneper Kinos gegeben hat. Neben dem Union-Theater am Lenneper Alten Markt (seit ca. 1910) und dem Modernen Theater am Kölner Tor (seit ca. 1924) gab es nämlich noch ein Lichtspieltheater in der Rotdornallee, damals hieß diese Straße vom Bahnhof den Johannisberg hinunter einschließlich der heutigen Rotdornallee insgesamt noch Mittelstraße. Das dort gelegene Kino hieß im Jahre 1925 Alhambra und ist unter diesem Namen so manchem Lennepern wenigstens dem Namen nach bekannt. Leider habe ich kein Foto dieses Etablissements, und der genaue geographische Ort war für mich nicht zu ermitteln, trotz der Straßenbezeichnung Mittelstraße 6. Filmhistorisch hatte dieses Lichtspieltheater allerdings schon einen Vorläufer, der bis ins Jahr 1911 bzw.1915 zurückgeht. Damals firmierte das Theater unter dem Namen Fern-Andra Lichtspiele. Davon gab es damals in Deutschland viele, es handelte sich um eine der ersten Lichtspielketten, der Name Fern Andra bezog sich dabei auf eine US-amerikanische Schauspielerin, Regisseurin, Drehbuchautorin und Filmproduzentin. Neben Henny Porten und Asta Nielsen war sie eine der beliebtesten und bekanntesten Schauspielerinnen des deutschen Stummfilms der 1910er Jahre.

Vor den Feiertagen der Jahreswende 1925/26 brachten die drei Lenneper Kinos natürlich ein besonderes Festprogramm. Das Union-Theater am Alten Markt warb dafür mit folgenden Worten: „Auch in dieser Woche bringen wir den Beweis, dass die Qualitätsfilme des Union-Theaters eine Klasse für sich bilden. Waren unsere letzten Programme schon das unumstrittene Tagesgespräch von Lennep, so ist der an den Feiertagen zur Aufführung gelangende Spielplan eine Meisterleistung ohnegleichen“. Gespielt wurde damals Buster Keatons Metro-Großfilm mit dem Titel „Ben Akiba hat nie gelogen“. An Reichtum der Ideen, an Schärfe des Witzes übertraf nach der Ankündigung Buster Keaton bei weitem seine beiden Konkurrenten Pat und Patachon. Es folgte noch der Hinweis: „Samstag zahlen Erwerbslose auf sämtlichen Plätzen nur 50 Pfg.“, was in der sog. Schlechten Zeit mit ihrer Inflation wenig war.

Vielleicht hat Leitung des Modernen Theaters am Kölner Tor geahnt, dass es bezüglich ihres „gewaltigen Filmwerks Pat und Patachon als Millionäre“ im Union Theater Konkurrenz gab. Jedenfalls gesellten sie dem genannten Duo noch ein anderes, und zwar brandneues, Filmwerk bei. Der Titel lautete „Elegantes Pack“ und handelte von Hochstaplergeschichten aus der damaligen Zeit. Dazu hieß es weiterhin: Bei seinem Erscheinen bildete dieses blendende Werk das Ereignis der Saison.

Auch der Sportfilm war 1925 schon geboren. Sozusagen im Beiprogramm zeigte man damals im Modernen Theater die Dokumentation „Breitensträter gegen Harry Gould“. Hans Breitensträter war in den 1910er und 1920er Jahren einer der weltbesten Schwergewichtsboxer. Im Berliner Sportplast waren bei seinen Kämpfen die 15. 000 Plätze restlos ausverkauft. Man kann sich denken, dass die Wiedergabe seiner Kämpfe im Kino die damaligen Zuschauer förmlich von den Stühlen rissen, Fernsehen und Computer gab es damals noch nicht.

Das dritte Lenneper Kino, das Alhambra, empfahl sich 1925 zum Jahresende mit einem „Mahnruf an Deutschlands Söhne“. Der Fremdenlegionärsfilm mit dem Titel „Die Flucht aus dem Heere der Heimatlosen“ zeichnete den Schicksalsweg eines jungen Deutschen nach, der seine „Liebste und das Vaterhaus verließ, um sein junges Leben in der berüchtigten Fremdenlegion aufs Grausamste und auf elendeste Weise zu beenden“. Die Anzeige schließt mit den Worten: „Eltern zeigt diesen Film Euren Söhnen“. Damit dieses Thema zum Jahresende die Gemüter nicht zu problemlastig werden ließ, bot das Kino aber als zweiten Hauptschlager noch einen orientalischen Prunkfilm an. Bei der „Tänzerin vom Nil“ handelte es sich um ein orientalisches Liebesdrama in sechs Akten, mit angeblichen Originalaufnahmen aus dem Land der Pharaonen. In der Hauptrolle war Arvia zu sehen, die „schönste und charmanteste Tänzerin am ägyptischen Hofe in ihren pikanten Tänzen“. Oh la la.

Auf der Zeitungseite findet sich auch noch die Anzeige des Lenneper Schreibwarengeschäfts Otto Schulte aus der Berliner Straße Nr. 8. Den Sohn der Familie habe ich noch gekannt, er führte nach dem zweiten Weltkrieg daselbst noch ein Herrenausstattungsgeschäft. Wenn er abends „beim Meyer“ (Bremme Bräu Barmen) unter dem Union Theater am Alten Markt seinen „Bittern“ trank, sprach er seine bekannten Worte aus: „dat rinnt wie Öl“. Ich habe mir dies bis heute gemerkt, ebenso wie die Besuche in dem über dem Lokal liegenden Kino.

Und damit nun endlich einen guten Rutsch und bitte nicht vergessen: in der Restauration Albert Isken findet am 1. Januar morgens von 11-1 Uhr ein Konzert mit der Original-Jazzband statt. Ach schade, das ist nun leider schon 85 Jahre her, es handelt sich also wieder einmal um eine Geschichte aus dem Alten Lennep.

Nachtrag

Auf meinen Artikel über die Lenneper Kinos gab es so viele Reaktionen, dass ich zu diesem Thema noch weiteres mitteilen möchte. Ein Leser schrieb mir etwa: Sehr geehrter Herr Schmidt, ich habe auch noch frühe Erinnerungen an das Moderne Theater am Kölner Tor. Ich schicke Ihnen als Anlage eine Digital-Kopie von einem Dia des Modernen Theaters aus der Nazizeit. Ich kann die Filmtitel auf den Plakaten nicht lesen, es wäre ein Hinweis, wann das Bild entstanden ist, wahrscheinlich Anfang der 1940er Jahre. Auf dem Bild oben rechts, unter dem Giebel im ersten Stock, stand im Modernen Theater ein Projektor. Im Sommer, wenn es heiß war, wurde das Fenster aufgemacht. Da das Gebäude dort einen Knick nach links entlang der gekrümmten Wallstraße macht, stand der Projektor direkt am Fenster. Ich selbst habe als Kind in diesem Kino den ersten Film meines Lebens erlebt. Es war noch in der Besatzungszeit, und deutsche Filme waren nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst verboten. Meine Eltern nahmen mich damals mit in einen der ersten Filme. Ich war fasziniert von dem schön bestickten Vorhang vor der Leinwand. Es war ein Landschaftsbild zu sehen, und ich glaubte zunächst, es sei schon der Film. Es gab zuerst einen englischen Kriegsfilm in Schwarz Weiß, in original englischer Sprache und wahrscheinlich mit deutschen Untertiteln (ich konnte noch nicht lesen). Später gab es dann weitere Filme wie „The Overlanders“, deutsch: „Das große Treiben“ aus dem Jahre 1946, ein australischer Film, der 1947 nach Deutschland kam. Dargestellt wird der Weg eines Viehtriebs aus Angst vor einer Invasion der Japaner 1942 mitten in die Outbackwildnis. Dort gerieten die Rancher in Hungersnot und haben Raupen gegessen. Eine einprägsame Sache. Das war alles noch vor der Währungsreform. Mit meinen Eltern saß ich immer nur Loge im ersten Stock und immer zu einem bestimmten Wochentag. Man ging damals regelmäßig ins Kino, egal was gespielt wurde. Vorher holte man sich ein Programm für ein paar Groschen (4 Seiten mit einer Bildmontage von vielen Aufnahmen und der Liste der Darsteller). Vorne im sog. Parkett kostete der Platz 50 Pf. Dahinter gab es Sperrsitz I und Sperrsitz II für 70 Pf. Bzw. 1,10 DM. Für 1.10 DM gab es dann schon ein Rückenpolster (grün) auf den Holzklappstühlen der Loge, für 1.60 DM hatte man dann den Sitz rot gepolstert.

Die Zuschrift dieses Lennepers ist sehr interessant nicht nur ihrer detailgetreuen Erinnerung wegen, sondern auch das beigefügte Foto aus der Zeit etwa 1939/40 sagt eine Menge aus. Zum einen gibt es die Art der damaligen Kinowerbung getreu wieder. Links und rechts neben dem Eingang zum Kölner Hof waren in Schaukästen nicht nur die Kinoplakate gehängt, sondern um sie herum auch größere Szenen- und Künstlerfotos in der der Art von Pressefotos. Sehr interessant ist aber auch der zeithistorische Aspekt, auf der Kölner Straße sieht man einen SA- Mann mit Braut, und rechts an der Vormauer des Bankgebäudes erblickt man deutlich die rotgestrichenen Schaukästen der „NSDAP – Ortsgruppe Lennep – Zelle Röntgen“ , und längs der Unterseite steht geschrieben : „Die Juden sind unser Unglück“. Wahrscheinlich können sich auch die Zeitgenossen, die damals Tag für Tag an dieser Schautafel vorbeigegangen sind, nicht mehr an diese Parole erinnern. Vielleicht denken sie: das war ja damals überall so, und in Lennep gab es ja kaum Juden. Da hat man damals gar nicht drauf geachtet.

Das übersandte Bild erinnerte mich aber auch gleich daran, dass ich in meiner Postkartensammlung ebenfalls eine Abbildung aus dieser Zeit habe, eine zeitgenössische, wohl privat produzierte Postkarte, auf der das Moderne Theater und Uniformen zu sehen sind. Sie ist in jedem Fall früher entstanden, weil der NSDAP-Schaukasten noch nicht installiert war, aber es muss nach 1932 gewesen sein, da das frühere Kaufhaus Dörrenberg, das 1926 als Karstadt-Warenhaus wieder eröffnet worden war, erst in diesem Jahr in KARZENTRA umfirmierte und diese Bezeichnung in Form des Warenzeichens gleich zweimal sehr deutlich zu sehen ist. So wie der NSDAP-Schaukasten des ersten Bildes zeigt der Aufzug nationalsozialistischer Formationen die Kölner Straße hinunter die umfassende Präsenz des Regimes und zusätzlich die erhebliche Zustimmung der Lenneper Bevölkerung, sichtbar durch den Führergruß vieler Passanten, ein Junge marschiert auf dem Bürgersteig mit erhobener rechter Hand mit. Unwillkürlich werden die Älteren hier an das Lied denken: „Wenn die Soldaten durch die Stadt marschieren“ – aber paramilitärische Formationen tuen es ja auch. Begeisterung für Tschingderassassa scheint ein zeitloses Phänomen zu sein. Quer über die Kölner Straße sieht man auf dem Bild ein Band mit der Parole „Was tatest Du zu Arbeitsbeschaffung?“ Bereits 1932 hatte zwar die Arbeitslosigkeit in Deutschland den Höhepunkt schon überschritten, jedoch wurden die Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen 1933 erheblich intensiviert, natürlich nicht nur aus Liebe zu den Beschäftigungslosen. Vielmehr erklärte Hitler schon im Februar 1933, dass alle öffentlichen Maßnahmen zur Arbeitsbeschaffung zugleich der „Wehrhaftmachung“ zu dienen hätten und den Interessen des Staates untergeordnet seien. Was unter dem Strich aus der Umsetzung dieser Interessen wurde, dies sah man dann in Lennep an der Bombardierung kurz vor Kriegsende, in der Neustadt und anderswo. Aber das ist auch schon wieder eine andere Geschichte, deren Darstellung nach 1945 auch die Kinos noch lange beschäftigen sollte.

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