Alt-Lennep mit Fritz aus dem Wieschen

08 Juni 2020 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

Ein gewisser „Fritz aus dem Wieschen“, der seinen wirklichen Namen Richard Thielmann in seinen historisch-launigen Zeitungskolumnen meist unterdrückte, veröffentlichte im Jahre 1955 über das Lenneper Druckhaus Adolf Mann Nachfolger als Privatdruck ein kleines Heftchen mit dem Titel „Dies und Das – Von der guten alten Zeit bis zur Gegenwart“, worin er humorvoll Lenneper Anekdoten und Berichte wiedergab, von früheren Begebenheiten und überhaupt, wie es früher war. Bald jeder Leser in Lennep wusste natürlich, dass dieser Fritz der Hauptschriftleiter des Lenneper Kreisblatts war. Er war mit vierzehn Jahren von Elberfeld zur Buchbinderlehre in die Kronenstraße nach Lennep gekommen, dort, wo sich später die Werkstatt des Uhrengeschäfts Koll einrichtete. Aus seinem späteren Wirkungskreis der Druckerei und des Zeitungswesens schöpfte er so manche Anekdote, von denen wir heute ein paar vorstellen, da sie sich u.a. auch mit dem Themen Pfingsten und den dabei fälligen Schützenfesten beschäftigen. Fritz aus dem Wieschen äußerte sich seinerzeit, hier für den heutigen Leser ein wenig bearbeitet, u.a. so:

Im Wandel der Zeiten haben die Jahre vom Ausgang des vorigen Jahrhunderts bis zur Gegenwart auch für Lennep Umwälzungen gebracht wie nie zuvor. Die sogenannte „gute, alte Zeit“ schwand dahin, zwei Weltkriege erschütterten den ruhigen Lauf von Handel und Wandel und gaben dem täglichen Leben ein nervöses Gepräge. Durch die Wirren der Nachkriegsjahre im Innern erfasst, suchen die Menschen sich im Kampf ums Dasein zu behaupten. Hasten und Jagen sind die Zeichen unseres Zeitalters geworden. Dieses Büchlein will in schlichter Weise den Übergang von der alten zur neuen Zeit in der ehemaligen Kreisstadt schildern, nicht von hoher Warte aus, sondern mit dem Volke und aus dem Volke. Als über 40jähriger Mitarbeiter der örtlichen Zeitung, des im Jahre 1955 nunmehr 125jährigen Kreisblattes, ist man mit den Verhältnissen vertraut und mit den Lesern eng verbunden. Möge dieses Büchlein der Erinnerungen aus einem halben Jahrhundert Lenneper Lebens viele Freunde finden; es wurde geschrieben: keinem zulieb und keinem zuleid. Der Verfasser, Lennep, im Mai 1955.

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Die Zeichnungen zum Text stammen von G. Nökel, Lennep. Hier: Freizeitbeschäftigung und Nachrichtenverkündung im alten Lennep.

Das Lenneper Leben und Treiben spielte sich zum Ende des 19. Jahrhunderts in ruhigen Bahnen ab. An Sommertagen saßen die Leute an ihren Haustüren, die Frau strickte zwei rechts, zwei links, und der Mann rauchte die lange Pfeife. Aber auch an Werktagen nach Feierabend war dies das Vergnügen der sogenannten „breiten Masse“. Eine Abwechslung in dieses Einerlei brachte hin und wieder der Stadtbote mit der Schelle und den dazu gehörigen Bekanntmachungen. Man spitzte die Ohren und vernahm u.a. „Frischer Schellfisch angekommen bei Herrn Hermann Johnen am Markt“ oder „Das Betreten der Lenneper Wiesen ist bei Strafe verboten“. Ließ sich aber die Schelle an Sonntagen vernehmen, dann lief den alten Frauen aber die Gänsehaut den Rücken hinunter: „Ein dreijähriges Mädchen abhanden gekommen“, hieß es z.B., „es war bekleidet mit einem blaupunktierten Kattunkleidchen und einer roten Schürze. Mitteilungen nimmt die Polizei entgegen“. „Ach, du liebe Zeit, dat arm Kenk“ sagte vielleicht dann jemand, und des Bedauerns war kein Ende. Und die Männer taten natürlich auch ihren Senf dazu: „Jo, schuld sind die Wiever, die passen op de Blagen nich op.“

Zu dieser Zeit gab es Nachtwächter, die für Ruhe und Ordnung in der stillen Stadt zu sorgen hatten. Im Winter war ihre vornehmste Aufgabe, das Schlittenfahren von der Knusthöhe herunter über den Markt durch die Kronenstraße bis zur Mühlenstraße zu unterbinden. Der Verfasser dieser Zeilen zählte auch zu den verkehrswidrigen Früchtchen, aber der lange, spindeldürre Wächter hat mich niemals erwischt. Allerdings musste ich oft den Schlitten im Stich lassen. Auch „der ersten Liebe goldene Zeit“ wollte man mich hier erleben lassen. Unser Druckereigehilfe lud mich ein, mit Malchen und Luise aus der Kronenstraße zusammen die Raderstraße hinunter zu lustwandeln. Die Mädchen sprachen aber nicht, und ich als Jüngling, sehr streng erzogen, fand auch keine Worte. Von der Liebe habe ich nichts gespürt. Der kurze Spaziergang blieb auch während der Lehrzeit das einzige Erlebnis auf diesem Gebiet.

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Das Lenneper Original Bennad Funnemann in der Zeichnung von G. Nökel. Rechts eine Ansichtskarte eines weiteren historischen Originals, das, wie man sieht, dem Lenneper Schnaps bis in den Himmel sehr zugetan war.

Bei der Arbeit ging es über die Maßen streng zu. Doch fand man hin und wieder eine Gelegenheit zu heiteren Streichen. Da war das Lenneper Original Bennad Funnemann, der drehte unsere Druckmaschine. Die Drehpausen bestimmte er selbst. Wir hatten die üble Angewohnheit, manchmal auf die Bremse der Druckmaschine zu treten, wenn Bennad im Schweiße seines Angesichts sich bemühte, das Schwungrad in Bewegung zu halten. Bald aber hatte er die Ursache der Schwierigkeit erfasst. Mit vielsagenden Grimassen verließ er das Rad, setzte, ohne ein Wort zu sagen, seine Mütze auf und verschwand auf Nimmerwiedersehen. Das gab der Druckerei den Anlass zur Anschaffung eines Wassermotors. Für den Bennad war ich fernerhin Luft.

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Historische Aufnahmen Lenneper Schützen auf dem Schützenfeld um 1900. Rechts: Der Schützenkaiser wird mit dem Festzug über den Kaiserplatz (heutiger Mollplatz) durch die Stadt geleitet.

Das Schützenfest war mit der Jahrhunderte alten Kirmes verbunden. Damals wurden an diesen festlichen Tagen der Markt und die Berlinerstraße bis zum Eingang in die Schwelmerstraße zu beiden Seiten mit Buden eng besetzt. Bei der damaligen Gaststätte Isken hatte die „Mordgeschichte“ immer ihren Stand. Ein altes Ehepaar sang vor entsprechenden Bildern die rührende Geschichte von dem verschütteten Bergmann mit acht unmündigen Kindern. Vor dem späteren Blumenhaus von Frau Honsberg hatte das „Kölner Hänneschen“ seine Zelte aufgebaut. Jede Vorstellung schloss mit „Neptuns Erwachen auf dem Meeresgrund“ bei bengalischer Beleuchtung. Ein Karussell stand zudem auf dem Markt in der Ecke neben dem Amtsgericht. An einer Stange befand sich eine Holzbirne, in deren unterem Teil ein Haken steckte; wer diesen während der Fahrt herausriss, bekam eine Karussellrunde gratis.

Das eigentliche Schützenfeld an der Albert-Schmidt-Allee war durch Buden und Vergnügungsunternehmen dicht bebaut. Auch das geräumige Schützenzelt stand dort. Nach altem Brauch trugen die Schützen des Vorstandes weiße Westen. Von den vielen Festen ist das vom Jahre 1911 besonders in Erinnerung geblieben, weil es ein trauriges Erlebnis mit sich brachte. Als nach dem Festzug die Militärkapelle der Hacketäuer auf dem Musikpodium unter der Decke des Zeltes Platz genommen hatte, brach der Boden zusammen, und die Musiker stürzten mit ihren Instrumenten, den Fahnen und Standarten, die an dem Podium befestigt waren, in die Tiefe. Ich stand am Eingang des Zeltes und zog die Fahnen aus den Trümmern. Leider befand sich im Augenblick des Einsturzes ein zehnjähriger Junge unter dem Podium, ihm wurde die Brust eingedrückt, er war sofort tot. Der Schützenverein nahm mit der Kapelle an der Beerdigung teil. Das General-Kommando in Münster aber verbot den Militärkapellen, künftig bei Schützenfesten zu spielen.

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Bebilderung von G. Nökel, Lennep, zum folgenden Abschnitt. Rechts: Altbergisches Paar vor seinem Fachwerkhaus (Slg. Lempe / Lenneparchiv Schmidt).                                                                                                                

In früheren Jahren schoss man zum Königsschießen auf einen Vogel. Auf einer hohen Stange war unter einem aus Eisenblech geschnittenen Vogel eine Platte angebracht. Wer diese Platte herunterschoss, wurde Schützenkönig. Die nicht ernstlich um die Würde schossen, zielten auf die Flügel. Nach dem Bau eines Scheibenstandes führte man das Königsschießen auf eine gemalte Scheibe aus, auf der ein Hirsch mit Blattbezeichnung zu sehen war. Der Meister der „Volksbelustigungen“ bei Schützenfesten war in jener Zeit „Fränzchen“, ein kleines, rundes Kerlchen mit vollen, roten Backen und lustig zwinkernden Augen. Immer war er zu heiteren Streichen aufgelegt. Häufig warf er eine Handvoll Kupfermünzen im Festgedränge vor die Füße alter Frauen. Mit Feuereifer stürzte sich die Jugend auf das Geld, dabei wurde manche Frau übel zugerichtet.

Viel Freude brachte auch das Waldbeeren-Kuchenessen. Eine Torte wurde dick mit Waldbeerenbrei belegt und in die Mitte ein 50 Pfg.-Stück gesteckt. Von verschiedenen Seiten begannen die Kinder dann zu essen, aber die Hände mussten auf dem Rücken gehalten werden. Wie die Wilden suchte jeder zuerst durch den Brei zum Geldstück zu kommen. Da gab es denn mit Brei beschmierte Gesichter, die die Umstehenden zu schallender Heiterkeit veranlassten. Einmal war wieder eine frische Torte aufgestellt. Da kam eine vornehme Dame mit ihrem Söhnchen vorbei, das sehnsüchtig nach dem Waldbeeren-Kuchen schaute. „Arno, das ist nichts für dich. Komm!“ – sprach die Mutter.  Der Junge wusste sich aber im Gedränge des Schützenfestrummels abzusetzen und lief zur Waldbeeren-Torte. Als er mit seinen Zähnen bald am Ziel war, da kam seine Mutter suchend vorbei, sie war einer Ohnmacht nahe, wie sie ihren Sprössling mit Brei geziert über die Torte gebeugt sah. Die weiße Bluse und das Haar waren mit der blauen Sauce bespritzt. „Arno! Pfui, schämst du dich nicht!“ Damit riss die Dame ihren Sohn vom Tische fort. Das immer lustige Fränzchen aber meinte: „Madameken, Ihr Jong hatt grad so‘n Honger wie die angern, woröm sall hei dann nich eten. Hä kritt die foffzig Penning“. Schnell entschwand die Frau mit ihrem Söhnchen im Rummel des Festplatzes.

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Das Alte Lennep auf Ansichtskarten der vorletzten Jahrhundertwende mit der „Schmerigen Pann“ (links) in der Wetterauer und dem uralten Haus neben dem späteren Röntgenmuseum in der Schwelmer Straße.

Ein ulkiger Vorgang sei hier noch verzeichnet. In dem Hause von Franz Hasselkus (später Gemüsegeschäft Wagenbach) in der unteren Kölner Straße wurde an der Hausfront im Giebel ein Schlafzimmer gebaut. In der Ecke stand eine große Trommel, auf der mit schwarzer Farbe, umrahmt von einem grünen Kranz, geschrieben stand: „Lenneper Schützenverein 1823“. Als das  Zimmer fertig war, wollte man die „dicke Trommel“ herausholen, aber – sie ging nicht durch die neue Türe. Nun gab es eine große Beratung. Da entschloss man sich, die Trommel um ein gutes Stück zu verkürzen. Daraufhin konnte man das Instrument herausholen, es war durch die Operation auch moderner geworden. Die Trommel bekam später die Lenneper Feuerwehr-Kapelle, die sie noch viele Jahre benutzte.

Im Rahmen dieser „Erinnerungen“ von Fritz aus dem Wieschen können natürlich nicht alle Lenneper Ereignisse und die freudvollen Stunden der früheren Schützenfeste wiedergegeben werden. Das Schützenfest war das Fest der Lenneper, an dem sich jeder auf seine Art und nach seinem Vermögen beteiligen konnte und wollte, ein wirklicher Treffpunkt für arm und reich. Kino und Rundfunk waren damals noch wenig bekannte Begriffe, ebenso gab es noch lange Zeit so gut wie keinen Autoverkehr. Manche der von Fritz aus dem Wieschen veröffentlichen Anekdoten, Erzählchen oder Schnurren, wie man früher sagte, sind übrigens in einem Lennepbuch der Gegenwart erhalten geblieben: Aus dem alten Lennep: Sagen und Erzählungen, Geschichten und Geschichtliches (Heimatarchiv), von Wilhelm R. Schmidt, broschiert erschienen im Jahre 2007 und in Lennep im Buchhandel, im Lennepladen, im Tuchmuseum sowie bei beim Autor noch erhältlich.

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