Zur Schlachthofstraße in Lennep

04 August 2009 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

Neulich wurde ich aufgrund meiner Lennepbeiträge gefragt, ob ich denn nicht auch etwas zur Schlachthofstraße hätte, schließlich hat das Areal aufgrund seiner Geschichte mit Schlachthof und späterem Milchhof eine eigene Vergangenheit. Von dieser ist heute bis auf das ursprüngliche Direktorenhaus des Schlachthofs nichts mehr zu sehen.

Zum ganz alten Lennep gehört die Gegend sicher nicht, auch wenn der untere Teil der Schlachthofstraße wohl schon früh, vielleicht schon seit dem Mittelalter, Teil eines Weges war, der von der Innenstadt über den Mollplatz und Hagers Gässchen zur heutigen Eisenbahnunterführung führte, weiter hinauf dann bis zur sog. Karlshöhe und nach Westerholt. Wer dort vorher sich nach links wendet, kommt noch heute in einen alten Hohlweg Richtung Kimmenau, der einen in der Dunkelheit das Fürchten lehren kann, er gehörte auch zur historischen Wegführung. Unter der Karlshöhe vereinigte sich der genannte alte Gartenweg mit dem Ausläufer der heutigen Bergstraße, der in seiner Vorform bezeichnenderweise Westerholter Weg und zwischendurch auch Bahnhofstraße hieß. Alles dies kann man auf den historischen Skizzen des Lenneper Baumeisters Albert Schmidt (1841-1932) gut nachvollziehen. Apropos Bahnhof: im Zusammenhang seiner Einrichtung um das Jahr 1868 entstand erst die heutige Gartenstraße. Nach dem Bau der Eisenbahn musste man gezwungenermaßen durch die Unterführung an der Gartenstraße, wenn man aus Richtung Innenstadt östlich des Lenneper Bahnhofs den Berg hinauf nach Westerholt wollte. Als der Städtische Schlachthof hier im Jahre 1889 entstand, war die gesamte Gegend weit außerhalb der Kernstadt. Das war auch durchaus so gewollt, da die Schlachthöfe damals mehr noch als heute eine bedeutende Geruchsbelästigung für die Umgegend darstellten. Im Adressbuch der Stadt Lennep werden im Jahre 1903 für die Schlachthofstraße nur drei Hausnummern aufgeführt, die Nr. 2 unten für den Stellmacher August Reinhoff, die Nr. 9 Mitte rechts für den Städtischen Schlachthof und oben links die Nummer 10 für die Baufirma Albert Schmidt, die hier zunächst ihr Lager (ursprünglich auf der Knusthöhe) anlegte. Erst der Sohn Arthur Schmidt verlegte das gesamte Baugeschäft dorthin, nachdem auch ein Bürogebäude errichtet war.

Die Schlachthofanlage von 1889 wurde übrigens seinerzeit als Glied einer ganzen Kette der gemeinnützigen Anlagen der Stadt Lennep geschaffen, zu denen z.B. auch die Badeanstalt und der Stadtgarten gehörten, und wie Albert Schmidt sich erinnerte: „natürlich gegen Opposition der meisten damaligen Metzger“. Diese glaubten nämlich, sie würden wegen der Errichtung von zweifelhaften Fleischketten und hohen Schlachtgebühren geschädigt, eine Befürchtung, die aus heutiger Sicht, man denke etwa auch die gegenwärtige Diskussion um die Milchpreise, nicht gänzlich unbegründet erscheint. Später hätten die Metzger aber eingesehen, dass durchaus auch Vorteile mit einer solch gemeinnützigen Anlage unter sachgemäßer Kontrolle verbunden sind.

Meine eigenen Erinnerungen an die Schlachthofstraße sind natürlich auch dadurch mit bedingt, dass das Baugeschäft meiner Vorfahren auf diesem Areal lag. Daraus ergaben sich in der frühen Kindheit zunächst Besuche dort, so kann ich mich noch an die Familie des Lagerverwalters Otto Pfeifer erinnern, dessen Sohn heute hoch betagt am Grenzwall lebt. Später musste ich für meinen Vater beim Nachfolger des o.g. Stellmachers, an den ollen Münscher kann ich mich auch noch gut erinnern, maßgenaue Latten zu Reparatur unserer Gartensessel holen, die im Garten unseres Hauses gegenüber dem Berliner Hof standen. Die Sessel waren handgeschmiedet und mit einzelnen Latten versehen, die aufgrund ihres Alters und der Witterungseinflüsse immer mal ersetzt werden mussten. Stellmacher Münscher lieferte also das Holzmaterial, dann wurden im Haushaltswarengeschäft Kühner neue Schrauben gekauft, zuletzt durfte man sich als Anstreicher betätigen. Der Stellmacher Münscher lieferte zudem unsern Kater Kasimir, in Schwarz-weiß und angeblich mit Siamesenblut. Das große Haus am Mollplatz musste in den 1960er Jahren der Poststraßenverbreiterung weichen, wohl aber existieren die Sessel aus dem 19. Jahrhundert noch, zu denen die Ersatzlatten über mindestens 50 Jahre von der Schlachthofstraße kamen.

Noch etwas anderes verband unser Vaterhaus mit der Schlachthofstraße, denn unsere Kohlen wurden durch die Kohlenhandlung Friedrich Kuhstoß KG geliefert, die unterhalb des ehemaligen Schlachthofs hinter der Bahnunterführung gelegen war. Noch davor ging ein eher unscheinbarer Weg zum Bahnbetriebswerk Lennep ab, das seine Geschichte als „Lokschuppen“ im Jahre 1876 begann. Kuhstoß vertrieb außer Kohlen und Futtermitteln auch Kartoffen, die bei uns allerdings vom Bauer Schmalbein vom Rotzkotten geliefert wurden. Oberhalb der Kohlenhandlung, also in allernächster Nähe des Schlachthofs, lag das Gebiet des sog. Kütters, des Quellgrunds für den westlichen Gründungszufluss der Lennepe. Er war ganz früher lange Zeit auch als Brunnen gefasst und in dem nebenstehenden Haus soll nach einer alten Sage ein „gräulicher Spukgeist umgegangen“ sein. Wie die anderen viel Wasser führenden Berge in Lennep ist auch der nach Nordwesten gelegene Schellenberg, an dem die Schlachthofstraße liegt, unterirdisch mit historischen Sammelkanälen und Brunnenanlagen durchsetzt. Als Kind ging ich oft zu Kuhstoß, man kannte mich natürlich, und ich erinnere mich auch noch gut, wie der Kohlenwagen über die Gartenstraße auf der halben Höhe von Hagers Gässchen zu uns aufs Grundstück fuhr, und die Kohlensäcke über eine Kellerluke in die Tiefe entleert wurden. Hinterher musste das ganze Haus geputzt werden.

Eine weitere Erinnerung an das Areal an der Schlachthofstraße kommt mir noch. Als Schüler gingen ein Schulfreund von der Gartenstraße, an deren damals unbebauter Nordwestseite wir oft mit einem Fernglas das Geschehen am Betriebsbahnhof verfolgten, und ich mehrere Male auf dem Milchhof arbeiten. Wir waren da wohl gerade konfirmiert und durften die Arbeit aufgrund des Jugendschutzgesetzes erst um 6 Uhr morgens beginnen, die normale Belegschaft war schon früher da. Ich sehe noch die perforierten Aluformen für den Schichtkäse vor mir, durch die sich die Restmolke absetzte. Weiterhin erinnere ich mich, an der Papiereinwickelmaschine für die Butterstücke gearbeitet zu haben. Die Maschine streikte öfters, da gab es viel zu säubern, und das Gewicht des Endprodukts musste per Stichprobe überprüft werden. Das „Abenteuerlichste“ an der Tätigkeit im Milchhof war aber das Reinigen der großen Butterzentrifuge aus Edelstahl, aus der nach dem Schleudervorgang die Butter in breitem Strom heraus floss. Die Reinigung geschah sehr gründlich mit dem Reinigungsmittel P3, und ich musste dazu gänzlich in die große Trommel hineinklettern. Da war man irgendwie doch froh, wenn man wieder draußen war. Die Arbeit auf dem Milchhof fiel in die Zeit der ersten Gastarbeiter, insbesondere Italiener kamen und wurden auch beim Milchhof beschäftigt. Sie wohnten in Baracken oder Containern, anders kann man das nicht nennen, die gleich neben dem ehemaligen Direktorenhaus aufgestellt waren, das noch heute sichtbar die Zahl 1889 trägt. Knapp 100 Jahre später (ab 1982/83) wurde alles anders bebaut. Die damaligen ersten Gastarbeiter wurden übrigens von der Lenneper Bevölkerung überwiegend noch als Fremdarbeiter angesehen und behandelt. Man bemühte sich, mit „denen“ nichts zu tun zu haben, und wenn sie nach Feierabend und am Wochenende durchs Städtchen gingen, hatten die Eltern Angst um ihre Töchter. Wir Oberschüler lernten bei der Arbeit italiensche Flüche und weitere unanständige Wörter. Im Übrigen brachte unsere Arbeit während der großen Ferien (später als Studenten waren wir auch Briefträger in Lennep) einen großen Erfolg. Wir kauften uns bei Fahrrad Hartgen am Anfang der Kronenstraße die ersten Räder mit Nabenschaltung, und ich montierte gleich einen Rennlenker dazu. Fahrrad Hartgen war seinerzeit in Lennep eine Institution und ist meiner Familie auch deshalb noch erinnerlich, weil ich dort beim Mätensingen einen Tages statt Süßigkeiten einen Kartoffelstampfer erhielt, der wie ich die Zeiten bisher überdauert hat.

Der langjährige Nachkriegschef des Milchhofs, wie die Fabrik im Volksmund genannt wurde, war Herr Friedrich Halbach, der Direktor der Milchverwertungsgenossenschaft, wie es offiziell hieß. Er wohnte natürlich nicht mehr im ehemaligen Direktorenhaus, sondern nach meiner Erinnerung am Anfang der Lenneper Hentzenallee. Man kannte ihn auch als Mitglied des Presbyteriums der evangelischen Kirchengemeinde. Im „Gemeindebuch“ der Kirche aus den 1950er Jahren finden wir übrigens auch eine Werbeanzeige des „Milchhofs“. Darin präsentiert sich die Milchverwertungsgenossenschaft Remscheid eGmbH Remscheid-Lennep wie folgt: Neuzeitlich eingerichtete Molkerei liefert hygienisch vollkommen einwandfrei: Trinkvollmilch, Mager- und Buttermilch, lose und in Flaschen, Joghurt, Kakaotrunk, Schlagsahne, saure Sahne, Deutsche Markenbutter, Weich- und Hartkäse in den verschiedensten Fettstufen usw., alle zu beziehen durch den örtlichen Milchhandel“.

Kehren wir noch einmal in die Zeit des ursprünglichen Schlachthofs zurück. Zum Areal gehört auch die Karlstraße, die sich hinter der Bahnunterführung sagen wir einmal: parallel zu den Schienen in Richtung „Kammgarn“ hinzieht. Im Jahre 1905 ereignete sich hier eine tolle Sensation. Ein ganzes Haus wurde hier aus Richtung der Schlachthofstraße um 18 Meter in die Karlstraße verschoben. Es handelte sich um das Haus Kamper. Die Familie hatte an anderer Stelle in Lennep neu gebaut, und die Eisenbahn hatte inzwischen vermehrt unterhalb des Schlachthofs liegende Grundstücke gekauft und wollte u.a. Mietshäuser für Eisenbahner bauen. Das Haus Kamper stand aber im Wege. Die kaiserlich-königliche Bahnverwaltung entschloss sich schließlich zu einem aufwendigen Rettungsverfahren. Das gesamte Haus wurde auf Stelzen fixiert und auf Rollen langsam nach links gezogen. So existiert es heute noch, gut sichtbar auch vom Lenneper Bahnhof. Zeitgenossen berichteten, dass bei diesem Manöver nicht ein einziges Fenster zu Bruch ging und „keine Platte des Schieferkleides“ verletzt wurde. Ein noch erhaltenes Foto dieser Aktion zeigt im Hintergrund noch den alten Schlachthof.

Ein letzter Blick in das Einwohnermeldeverzeichnis von 1903 führt uns dann noch zu Hermann Windgassen, den Vater des Kapitäns und zeitweiligen Lenneparchivars Paul Windgassen. Er gründete 1880 die Lenneper Feuerwehrkapelle und war privat sozusagen der Begründer einer Gesangsdynastie, von der den Älteren von uns vielleicht noch der Kammersänger Wolfgang Windgassen bekannt ist. Hermann Windgassen wohnte als „Bieragent“ an der Karlstraße 2 und betrieb am Kölner Tor die „Restauration Windgassen“, später „Kölner Hof“. Er gehörte als „Plack“ mit seinem Freund Emil „Pimm“ Ruwiedel zu den Lenneper Originalen. Im Jahre 1903 war er allerdings wie Albert Schmidt schon Rentner und hatte das Lokal seinem Nachfolger übergeben. Wie Albert Schmidt in seinen Lebenserinnerungen mehrfach berichtet, spielte Hermann Windgassen zu Neujahr, natürlich von der Karlshöhe, mit seiner Trompete „das alte Jahr vergangen ist“. Seinen Lebensabend verbrachte er übrigens bei seinem Sohn Fritz, einem seinerzeit sehr bekannten Opernsänger und Musikprofessor, in Oberbayern, und aus dieser Zeit gibt es noch „zünftige“ Bilder von ihm und seiner Familie, mit Lederhose und Langpfeife. Ich erhielt diese Bilder von einer Dame aus der Familie der ehemaligen Seilerei Neuhaus an der Schwelmer Straße, wo die Seile zum Trocknen früher quer über die Schillerstraße gespannt werden konnten – weil diese noch gar nicht existierte. Davon gibt es schöne Bilder. Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

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