Stolpersteine in Lennep – eine Erinnerung

19 November 2014 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

Im November dieses Jahres 2014 wird auch im Bergischen Land des Beginns der systematischen Verfolgung der Juden in Deutschland zwischen 1933 und 1945 gedacht. Die Novemberpogrome 1938, bezogen auf die Nacht vom 9. auf den 10. November auch (Reichs-Kristallnacht oder Reichspogromnacht genannt, waren vom nationalsozialistischen Regime organisiert und staatlich gelenkte Gewaltmaßnahmen gegen Juden im gesamten Deutschen Reich. Wenn sich zwar im Stadtteil Lennep dieser Beginn aufgrund der wenigen jüdischen Bürger nicht im Gesamtremscheider Ausmaß zeigte, so waren doch schon wenig später die in Lennep lebenden Juden von den Gewalttätigkeiten der Nationalsozialisten ebenso betroffen, und 1941 wurden sie nachts oder am frühen Morgen aus ihren Häusern geholt und in den Osten verbracht. Dort verloren sich ihre Spuren meist in Lagern und Ghettos, und ein genaues Datum ihrer Ermordung bzw. ihres Erschöpfungstodes ist in vielen Fällen nicht bekannt. Bei den alteingesessenen Lennepern, die das sog. Dritte Reich und den Zweiten Weltkrieg miterlebt haben, waren die wenigen Lenneper Juden durchaus bekannt, und auch in meiner Familie konnte sich die mir voran gegangene Generation, z.B. eine im Jahre 1914 geborene Tante, noch erinnern. So kaufte mein Großvater, der Lenneper Architekt Arthur Schmidt, die Schuhe für seine große Familie, er hatte sieben Kinder, in der Regel im jüdischen Schuhhaus Rosenbaum am Alten Markt, und seine jüngste Tochter hatte in den frühen 1930er Jahren über die Schule Verbindung zu einer etwa gleichaltrigen Tochter der Familie Isaak am Gänsemarkt. Zusammen besuchten sie z.B. Konzerte in jüdischen Kulturinstitutionen Kölns. Trotz dieser Freundschaft gibt doch eine Bemerkung in der Selbstbiographie der Schmidtschen Tochter Aufschluss über das damalige Fühlen und Denken auch in Lennep: Als ich im jüdischen Konzertsaal die vielen dunkel wirkenden Menschen sah, da wurde mir doch etwas beklommen ums Herz. Die sich Erinnernde war im Übrigen selbst ein dunkler Typ mit braunen Augen und Haaren.

In Lennep hat es, dies ist heute auch über das Internet leicht zu recherchieren, immer nur wenig jüdische Mitbürger gegeben. In der Geschichte der Remscheider Juden, herausgegeben von Jochen Bilstein und Frieder Backhaus im Jahre 1992, heißt es dazu: „Ob in Lennep vor 1800 Juden gelebt haben, ist nicht bekannt. Erst für das Jahr 1826 ist die Anwesenheit eines Juden überliefert, wenige Jahre später, 1832, lebten weder in der Stadt noch im gesamten Kreis Lennep jüdische Einwohner … Die Zahl der Juden stieg in Lennep zwischen 1837 und 1867 von 3 auf 18 Personen“. Nachweisbar ist seit 1837 vor allem die bereits erwähnte jüdische Familie Isaak, deren Mitglieder bereits in Barmen vorher als Viehhändler ihren Unterhalt verdienten. Unter den selbständig arbeiteten Juden in Lennep befand sich der ersten Zeit sonst nur noch der Kaufmann Philipp Gottschalk. Zwischen 1890 und 1925 stieg nach den amtlichen Statistiken die Anzahl der Juden in Lennep von 29 auf 32 Personen, die fast ausnahmslos den Generationen ortsansässiger Familien angehörten.

Als ich vor einigen Jahren ein Lenneper Drehtermin mit dem WDR hatte, sagte mir die Redakteurin, die sich auf das Lennepthema vorbereitet hatte, man habe ihr erzählt, dass es in Lennep vormals viele reiche Juden gegeben hätte, unter anderem auch in der Tuchindustrie und im Tuchhandel. Bei näherem Hinsehen erweist sich allerdings, dass dem nicht so war, wenn auch im Bereich Tuchhandel um 1900 einige jüdische Namen auftauchen, z.B. Bruno Coen am Alten Markt.

Zurück zur Familie Isaak, deren Geschichte in dem erwähnten Werk „Geschichte der Remscheider Juden“ genauer beschrieben ist, so dass wir hier nur unter speziellen Gesichtspunkten darauf zurückkommen. In dem Lenneper Adressbuch von 1870 ist z.B. Jacob Isaak als Viehhändler verzeichnet, wohnhaft seinerzeit am Gänsemarkt 442, das war die ganz alte traditionelle Hausnummernzählung, später trug das Anwesen die neuere Bezeichnung Gänsemarkt 24, die heute noch gern zitiert wird, obwohl es das große Haus und auch diese Hausnummer gar nicht mehr gibt.

Aus dem 19. Jahrhundert sind noch die Werbeanzeigen der Familie Isaak in den damaligen Ausgaben etwa des Lenneper Kreisblatts erhalten, in denen es heißt: Sonntag komme ich mit einer Auswahl schwertragender und milchgebender Kühe an. Levi Isaak , Gänsemarkt. Im Jahre 1902 führt denn auch das Lenneper Adressbuch: einen Levi Isaak an, Viehhändler, wohnhaft am Gänsemarkt 24.


Obwohl die Familie Isaak ca. 100 Jahre in Lennep ansässig war, genützt hat es ihr nichts in der Zeit des Nationalsozialismus. Die heutigen Stolpersteine aus Messing vor ihrer nicht mehr vorhandenen Wohnstätte am Lenneper Gänsemarkt weisen aus, dass fast alle Mitglieder dieser Lenneper Familie von den Nationalsozialisten in die Ghettos Minsk bzw. Lodz verbracht wurden, wo sie verstarben bzw. ermordet wurden. Ein weiteres Mitglied der Familie, ein Sohn des Isaak Levi, geboren 1881 in Lennep, wurde nach Auskunft des Remscheider Stadtarchivs im Februar 1941 in der Heil- und Pflegeanstalt Hadamar ermordet. Ein Stolperstein speziell für ihn existiert bisher nicht.

Aus dem Jahre 1928 finde ich in meinen Lennepunterlagen eine Katasteramtsmeldung der Geschwister Isaak, in der die Hausbewohner ihres Anwesens am Gänsemarkt 24 aufgeführt sind, mit dem Hinweis, ob es sich dabei um Wohnraum oder aber um Geschäftsräume gehandelt hat. Die Auflistung umfasst u.a. den Hinweis auf eine Knopffabrik, eine Weberei und das Kolonialwarengeschäft der Eigentümer Isaak, deren Berufsbezeichnung sich im Laufe der Zeit von Viehhändler, Manufakturwaren, über Kolonialwaren zu Hausierer gewandelt hatte. Im Jahre 1942, also nach ihrer Deportation im Jahre 1941, wurde der Familie im Rahmen einer Vermögensbeschlagnahme das Grundstück und das darauf stehende Haus entzogen und zwangsweise an das Deutsche Reich übertragen, wie einer erhalten gebliebenen „Vermögensmitteilung“ zu entnehmen ist. Aufgrund eines Rückgabeantrages kam das Anwesen an die überlebenden Erben der Familie im Jahre 1948 wieder zurück, sie wohnten inzwischen in Israel, den USA und Kanada.

Auch bezüglich der Familie Rosenbaum, die am Alten Markt 10 (ganz früher Lenneper Wache, heute Pizzeria Daunia) ein Schuhgeschäft betrieb, gab und gibt es noch Lenneper Erinnerungen. Der Gründer war 1897 mit seiner Ehefrau und den Kindern aus dem Württembergischen nach Lennep gekommen. Als die Familienmitglieder im Jahre 1941 deportiert wurden, gaben sie nach einem mündlichen Zeugnis in der vorangehenden Nacht noch Material und Werkzeug an eine nahe gelegene Schusterwerkstadt am Alten Markt ab, mit dem Hinweis, sie würden es ja nun nicht mehr gebrauchen können. Auch soll ein Lenneper Soldat ein männliches Mitglied der Familie im Osten als Zwangs- bzw. Lagerarbeiter gesehen haben. Die Familie Rosenbaum wohnte in Lennep nach dem Adressbuch von 1902 in der Kölner Straße 23, nach der seinerzeit geltenden Zählung, später ist dann die obere Kölner Straße bzw. die Hermannstraße 1 nachgewiesen. Alle Mitglieder wurden 1941 nach Minsk deportiert und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit dort ermordet.

Nachweislich ähnlich erging es zwei hochbetagten Lenneper Frauen der Familie Löwenthal an der Kölner Straße, die 1942 in das Ghetto Theresienstadt überführt wurden und dort noch im gleichen Jahr zu Tode kamen. Die Familie war im 19. Jahrhundert nach Lennep gekommen und besaß in der Kölner Straße ein Manufakturwarengeschäft. Im Lenneper Adressbuch von 1902 wird Abraham Loewenthal in der Kölnerstraße 48 als Agent angegeben. Eine tiefer gehende Beschreibung der Familie verfasste die Lenneper Journalistin Gisela Schmöckel in dem bereits genannten Buch über die Geschichte der Remscheider Juden.

Die 1933 beginnenden antijüdischen Maßnahmen der neuen Machthaber trafen in Remscheid sofort auch die Reihen der städtischen Mitarbeiter. Schon im Vorgriff auf das erst im April erlassene Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums wurde die Zwangsbeurlaubung jüdischer Stadtbediensteter durch die erstarkte NSDAP-Fraktion durchgesetzt. Im Remscheider General-Anzeiger hieß es bereits am 23. März 1933: „ Auf Veranlassung der nationalsozialistischen Partei wurden gestern auch in Remscheid mehrere städtische Angestellte und Beamte beurlaubt.“ Unter ihnen war auch ein Stadtbaurat Rödiger – Lennep. Er hatte in dem 1925 erschienenen Werk über den Landkreis Lennep und seine Gemeinden einen umfangreichen Aufsatz über Die Stadt Lennep in städtebaulicher Hinsicht– Streifzüge durch die historische und gegenwärtige Stadt verfasst. Er teilte damals das Schicksal der Zwangsbeurlaubung mit acht weiteren Mitarbeitern der Stadt Remscheid.

Die ausgewählten Beispiele der Verfolgung jüdischer Familien in Lennep zeigen, dass auch in Städten bzw. Stadtteilen mit sehr wenigen Juden die bekannten Maßnahmen des nationalsozialistischen Staates durchgeführt wurden, vielleicht nicht in aller Schärfe während der Progromnacht im Jahre 1938, so doch später bei der Verhaftung und Deportation im Jahre 1941 und später. Die Stolpersteine weisen heute darauf hin, an der Stelle, an denen die jüdischen Familien früher ansässig waren, und auch, wenn die damaligen Bauten gar nicht mehr existent sind, so lassen sie in uns ein Bild Wider das Vergessen entstehen.

Empfehlenswerte Literatur:

Geschichte der Remscheider Juden. Bilstein, Jochen / Backhaus, Frieder (Hg.), Verlag der Buchhandlung Hackenberg Wermelskirchen, Remscheid 1992, Broschur

Remscheid in der Zeit des Nationalsozialismus. Mahlke, Frieder (Hg.) RGA-Buchverlag, Remscheid 1995, hier bes. S. 109 – 130

www.stolpersteine-remscheid.de

Wie sehr auch sog. Halbjuden, Juden zweiten Grades oder Jüdisch Versippte zur Zeit des Nationalsozialismus drangsaliert und bedroht wurden, vgl. dazu den Aufsatz zur Geschichte der Familie des jüdischen Richters Landsberg in Lennep.
www.lennep.eu/familie-landsberg-in-lennep

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