Es werde Licht – Wie die Gasanstalt nach Lennep kam

06 Dezember 2010 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

Historische Straßenbilder aus Lennep, Lüttringhausen und Beyenburg

Die alte bergische Kreisstadt Lennep war schon immer stolz darauf, sehr fortschrittlich zu sein. Nach 1900 bezog sich diese Auffassung zumeist auf die in der Tat beispielhaften Errungenschaften, die das Geld der erfolgreichen Textilindustrie in den Jahren ab etwa 1870 ermöglichte, z.B. die Kanalisation (1883), den Schlachthof (1889) oder das Hallenbad (1886). Aber bereits im Jahre 1843 waren die Lenneper ja ein reinliches Völkchen. Am Mollplatz, ungefähr da, wo später das Kaiserdenkmal entstand, eröffnete damals ein Martin Käsmacher seine Badeanstalt, „mit kalten, warmen, Tusch-, Staub-, Stahl-, Salz- und anderen Bädern“, wie das Kreisblatt notierte.

Auch das Gas hielt schon in dieser Zeit in Lennep seinen Einzug und Lennep gehörte damit zu den innovativsten Städten Deutschlands. In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurden die Straßen zunächst noch durch Öl- bzw. Petroleumlampen erhellt. Aber natürlich nicht überall. Der 1863 in der Kreisstadt Lennep geborene religiös-sozialkritische Schriftsteller J.C.J. Ommerborn (gest.1938) beschreibt in seinem Roman Pastor Hans Kroppmann eine wüste Schlägerei in der Diepmannsbach, wo natürlich außerhalb der dortigen Fabrikareale auch im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts nachts noch keine öffentliche Lampe brannte. Man konnte deshalb außer bei gutem Mondschein dort die Hand nicht vor den Augen sehen. Man war ja auch nicht in der Stadt. Dort aber, nämlich in Lennep, interessierte man sich schon seit ca. 1830 für eine moderne Gasbeleuchtung. Beiträge im Kreisblatt wiesen darauf hin, dass in London sogar schon seit 1811 einzelne Kaufläden und Straßen durch Gas beleuchtet würden, und zur gleichen Zeit habe ein Professor Lampadius in Freiberg/Sachsen Versuche gemacht, Gas für die Straßenbeleuchtung zu verwenden. Er brachte als erster in Kontinentaleuropa an seinem Wohnhaus eine Gaslaterne an. Da sie mit offener Gasflamme ohne Glühstrumpf betrieben wurde, war sie im Vergleich zu modernen Gasleuchten sehr lichtschwach. Man hatte aber nicht nur deshalb zunächst Zweifel an ihr, vielmehr stieß die Forderung nach mehr Licht vor allem in der Nacht auf sowohl theologische wie auch juristische, medizinische, staatsrechtliche und auch philosophisch-moralische Bedenken. Auch die Polizei war zunächst durchaus nicht begeistert, denn, so hieß es, zuviel Licht in der Nacht macht die Pferde scheu und die Diebe kühn. Wie dem auch sei, 1829 gab es in Berlin bereits rund 5000 Gasleuchten.

Auf der berühmten Gouache von G. Lehmann, welche den Lenneper Alten Markt in den 1830er Jahren zeigt, findet man über dem Marktplatz noch eine traditionelle Öllampe aufgehängt, sowie sie seit der Mitte des 17. Jahrhunderts zumindest in den größeren Städten gebräuchlich wurde. Sie ist auch in der Nachlithographierung von Günter Franke aus Frielinghausen (1974), die in meinem Arbeitszimmer hängt, in der Blickrichtung zur Berliner Straße sehr deutlich zu erkennen. Im Jahre 1843 nun entstand in Lennep eine erste private Gasbeleuchtungs-Gesellschaft, Sie bildete sich am 13. April und gab Aktien zu je 500 Talern heraus, die überraschend schnell vergriffen waren, wie dreißig Jahre später auch im Falle des Lenneper Freibads an der Udelschen Beek, das allerdings wirtschaftlich niemals auf die Beine kam. Verkauft wurden die Aktien bei C. Nohl & Comp., und der Vorsitzende war 1845 der Notar Raffelsieper. Die Aktionäre rekrutierten sich bis auf den Gastwirt Hager und den Posthalter vom Berg weit überwiegend aus der Lenneper Fabrikantenschaft: Fuhrmann, Schürmann, mehrere Hardt usw. Ein Graf Koks war allerdings nicht dabei.

Im Jahre 1844 empfahl sich den Bürgern Lenneps ein Monsieur Elément als „installateur des apparails à gas agréé de la compagnie de Lennep“ zur Anlage der nötigen Leitungen und versprach Sécurité, Promptitude et Bonne Exécution. Natürlich fand der Franzose in Lennep sogleich einen Mitbewerber und Konkurrenten, nämlich Matthias Wilhelm Leonhard Bellingrath, „seit 13 Jahren selbst Meister im hydraulischen und mechanischen Fache“. Dieser war nach eigener Bekundung hinreichend bekannt und mit der Arbeit vertraut, so dass es von seiner Seite keiner prahlerischen Empfehlung in fremden Sprachen bedurfte. Gaslampen jeder Art, „messingene und bronce“, verkaufte die Firma P.C. Mittelstenscheidt (oder Mittelsten Scheidt) in Lennep, die damals, also ein halbes Jahrzehnt vor Gründung der Buchhandlung Schmitz, u.a. auch in Sachen Buchbeschaffung tätig war. Überregional handelte man sehr erfolgreich schon in der zweiten Generation mit sog. Bergischen Gold- bzw. Münzwaagen, z.B. kann man noch heute in der Ferne, z.B. im Garmisch-Partenkirchener Heimatmuseum, ein gut erhaltenes Exemplar bewundern. Der Weg der Familie zu den heutigen Kobold Staubsaugern von Vorwerk, dies wäre schon wieder eine eigene Geschichte.

So fortschrittlich und modern man sich im Kreisblatt in Sachen Straßenerhellung präsentierte, die Wirklichkeit sah damals noch anders bzw. geradezu dunkel aus. Auch über das damalige Straßenbild sind im Kreisblatt einige historische Berichte zu finden. Von alters her erforderte ja die heute kaum vorstellbare nächtliche Straßendunkelheit zum Schutz der Bürger besondere Vorsichtsmaßnahmen, die jedoch nicht immer eingehalten wurden. So machte in Lennep der Bürgermeister Wille am 5. Februar 1833 bekannt: „Es ist Anzeige gemacht worden, dass in einigen Häusern die Haustüren die ganze Nacht offen stehen. Diese Polizeiwidrigkeit wird von jetzo an mit einer Strafe von 1-5 Reichstalern geahndet werden“ .

Betreffs Lüttringhausen berichtet man im Jahre 1833, dass dort trotz der Einnahme des sog. Pflastergeldes, das für die Benutzung der Straßen durch Personen, Fuhrwerke und Tiere zu zahlen war, die Ausbesserung der Fuhrgeleise des Pflasters ganz unfachmännisch und meist nur aus klein geschlagenen Steinen bestand, die wiederum die Fuhrgeleise und Seitenrinnen verstopften und so den notwendigen Wasserabfluss verhinderten, was dann bei Frost dazu führte, dass die gesamte Straße sich mit Eis bedeckte. Am 24. Februar 1833 stürzte in Lüttringhausen auf einer solch vereisten Straße ein Reisender mit seinem Pferd, glücklicherweise verrenkte er sich dabei nur ein Bein und trug eine Kopfwunde davon. Über eine Verletzung des Pferdes wird nichts berichtet.

Noch in Ermangelung einer modernen Kanalisation fand man an mehreren Häusern das Eis vom Spülwasser vor dem Haus so weitflächig angefroren, dass „ohne Eiskrampen nicht gut in die Apotheke zu kommen“ war. Der Weg dorthin war u.U. durch mancherlei bei Nacht nicht bemerkbare Hindernisse verstellt, z.B. Karren, was manche Einheimische, besonders aber Fremde, an dunklen Abenden sehr unangenehm erfahren haben. Das Kreisblatt schrieb süffisant und achtersinnig: „Sollte an all dem Schuld sein, dass man in Lüttringhausen immer eine halbe oder dreiviertel Stunde gegen Elberfeld , Ronsdorf und Lennep zurück ist, dann hat der Küster, dem allein nach seiner Berufung das richtige Stellen der Uhr obliegt, im Jenseits einmal eine schwere Bestrafung zu erwarten. Hier unten wird man ihm vielleicht vergeben, dass durch seine Unpünktlichkeit Briefe oft zu spät kommen“. Ja, als schlecht bezahlter Küster oder Nachtwächter hatte man es damals schwer, und noch lange Zeit später wurde in Lennep auch einem nachlässigen Postboten bei Unpünktlichkeit der Briefzustellung ein Strafbetrag vom Gehalt abgezogen, verbunden mit einem Eintrag in die Personalakte. Schon lange vorher, nämlich im Mittelalter, war es den Türmern strengstens verboten, das Nachtgeschirr, ich nehme an, der durchschnittliche Leser weiß noch, worum es sich hier handelt, vom hoch gelegenen Arbeitsplatz auf die Straße auszuleeren. So manche Dienst- und Verwaltungsvorschriften scheinen also doch ihren tieferen Sinn zu haben.

Auch in Beyenburg oder damals Beienburg gab es seinerzeit mancherlei Vorschriften und Abgaben, mit denen die Erhaltung der bestehenden Straßen garantiert werden sollte, unter anderem das sog. Brückengeld. In meinem Archiv findet sich dazu noch eine Quittung vom April des Jahres 1833, mit einem zeitgenössischen Stempel und dem Schriftzug des Empfängers Hammesfahr. Das schöne Stück ist auch auf einer Schautafel des BGV Wuppertal vor Ort mit abgebildet. Zur Benutzung bzw. zur Erhaltung der Brücke zahlte man damals 5 Pfenning. Pierer’s Universal-Lexikon aus dem Jahre 1857 definiert das Brückengeld folgendermaßen: „Brückengeld (Brückengeleite) ist eine Abgabe für das Gehen, Reiten oder Fahren über eine Brücke, welche zur Unterhaltung derselben entrichtet wird“. Die Beyenburger Brücke existierte übrigens damals mit ihren Vorgängerbauten schon seit dem Spätmittelalter und war eine wichtige Kontrollstelle auf der Handelsstraße von Köln über Dortmund nach Soest. Der Weg wurde auch als bedeutender Pilgerweg (Jakobsweg) und Heerstraße genutzt. Zu Beginn der Neuzeit verlor die Brücke allerdings an überregionaler Bedeutung.

Im Jahr der genannten Brückengelderhebung lag in Beyenburg übrigens laut einer Beschwerde der Viehdung in großen Haufen aufgetürmt auf der Straße, was die Unsauberkeit vor Ort sehr vermehrte. In der Zeitung hieß es damals: “Kann die bösartige Cholera in der Unsauberkeit ihr Entstehen finden, dann schwöre ich zu Gott, dass, wenn die Cholera endlich vertrieben ist, die Beyenburger Unsauberkeit das Ansteckungsfieber bald aufs neue eröffnen wird. Es ist höchst auffallend, das die bergischen Kaufleute und die Fabrikherren an der Wupper den Unfug der Unsauberkeit nicht meistern können. Wollten sie mit ihren Damen spazieren gehen, so müssten sie dieselben, sicherlich schreiend, durch die Beyenburg bringen“. Das war wahrscheinlich kaum übertrieben und keinesfalls gänzlich falsch. Die Entgegnung aus Beyenburg behauptete aber, dass „in mehreren anderen Städten eine noch viel größere Unsauberkeit stattfindet als in Beyenburg“. In der Haddenbach z.B. waren rechts und links des Weges die „Düngerhaufenbarrikaden majestätisch aufgepflanzt“. Man musste zum einen größte Vorsicht anwenden, um nach dem Dunkelwerden nicht geradezu in dieselben hineinzulaufen, zum anderen war es wohl für die Damen ein Ding der Unmöglichkeit, ihre Strümpfe vor aromatischer Feuchtigkeit zu schützen, es sei denn, dass sie sich mit hohen, ledernen Schuhen samt einer Umschließung von dicken Überschuhen bewaffnet hätten, um damit durch dick und dünn in des Wortes schlimmster Bedeutung treten zu können. Um entsprechende Unglücke zu verhüten, heißt es etwa im Jahre 1844, werden diejenigen Personen, die abends in der Dunkelheit von der Haddenbach nach dem Goldenberg oder umgekehrt gehen, gebeten, zur Überwindung unvermuteter und glitschiger Hindernisse ein paar Tannenborde (Holzbretter), eine Leiter und eine Laterne mit sich zu führen. Ob der Ratgeber wusste, dass die Bezeichnung Haddenbach schon vom Wort her mit Sumpf, Schlamm und Modder zu tun hat, ist unbekannt.

Bei derartigen Schilderungen und den gut gemeinten Empfehlungen fühle ich mich heute eher an eine Wüstenrally oder Urwaldexpedition erinnert, bei denen man bekanntlich auch so einiges mitzunehmen hat, um durchzukommen. Und es wurde alles ja auch besser, spätestens im letzten Drittel des 19. Jahrhundert, zunächst natürlich in der Kreisstadt Lennep und im wirtschaftlich erstarkten Remscheid. Nach der Einführung des elektrischen Lichts in Lennep und an der Wupper gab es kaum noch jemand, dem man heimleuchten musste, wenigstens nicht in des Wortes ursprünglicher Bedeutung.

Noch lange allerdings blieb das traditionelle Gas. Erst als Anfang der 1970er Jahre in Remscheid auf Erdgas umgestellt wurde, wurden auch die alten großen schwarzen Gasspeicher gänzlich überflüssig, z.B. in Reinshagen oder im Lobachtal, wo die größte Remscheider Variante angesiedelt war. In den Zeitungen wurden sie noch einmal in voller Größe im Bild gezeigt, bevor die Arbeiter ihr dickes Eisenkleid mit Schweißbrennern zerlegten.

Dreißig Jahre später, nämlich im Sommer des Jahres 2000, wurde in den Zeitungen die Lenneper Gashistorie noch einmal lebendig. Im Zusammenhang der Bebauung des ehemaligen Gaswerkgeländes zwischen Thaer- und Mühlenstraße stieß man nämlich tonnenweise auf die Relikte der ehemaligen Gaserzeugung im Lenneper Gas- und Wasserwerk. Bis zu sieben Meter tief waren Teerrückstände zu finden, der notwendige Aushub sollte dann in einer Sondermüllverbrennungsanlage in Holland beseitigt werden. Man sprach auch von einer tickenden Zeitbombe, und das gut eingezäunte Gelände durfte nur mit Schutzanzügen betreten werden. Und wieder einmal stank es übelst auf der Straße, auch wenn man sich zeitlich nicht mehr im Mittelalter oder im beginnenden 19. Jahrhunderts befand. Der Fortschritt in der Energieerzeugung war wie man sieht auch schon früher an die gleichzeitige Erzeugung von Altlasten gebunden, ein Thema, das uns heute in modernerer Form beim Atommüll wieder interessieren muss, aber auch das ist eine andere Geschichte, und sie könnte uns am Ende noch die schöne Adventsstimmung verderben, die ich hiermit allen Lesern wünsche.

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