Cowboys im Lenneper Stadion

21 September 2016 , Verfasst in Aus dem alten Lennep 

Anlässlich einer Stadtführung im August 2016 wurde mir ein kleines Büchlein geschenkt, das an das Reit-, Spring- und Fahrturnier August des Jahres 1953 im Lenneper Stadion erinnert. Der genaue Titel lautet: „Zur Erinnerung an das Reit- und Fahrturnier zu Lennep und an eine wohlgelungene Werbefahrt für den Remscheider General-Anzeiger“. Das Büchlein besteht aus zwanzig etwa quadratischen Kartonseiten mit Klammerheftung, wovon 16 mit originalen Handabzügen von Fotos versehen sind, die damals im Lenneper Stadion bzw. während einer Kutschfahrt durch die Lenneper Straßen aufgenommen wurden. Das handgedruckte Deckblatt und eine sogleich folgende Widmungsseite wurden augenscheinlich in der Hausdruckerei des damaligen Verlags gefertigt. Das Büchlein wurde speziell einem Teilnehmer des Turniergeschehens gewidmet, nämlich Adolf Luckhaus, der schon 1948 beim 1. Nachkriegsturnier in Wipperfürth ein sog. reiterliches Schaubild mit einem Viererzug vorgeführt hatte. Ein Lenneper erinnert sich noch heute sehr gut an Adolf Luckhaus, denn dieser war seinerzeit in Reiterkreisen eine Institution. Er hatte einen Bauernhof  unterhalb der heutigen Straße Am Lenneper Hof  ganz in der Nähe der nicht mehr existenten Bahnstrecke des legendären Krebsöger Blitzes und seine Pferde zeitweise auch am Lenneper Nagelsberg eingestellt. Seine Spezialität war das Mehrspännige Fahren mit Wagen und Kutschen. Und der genannte Lenneper selbst war damals auch dabei und weiß noch, dass die Lenneper Firma Radio Kutsch mit der Firma Radio Gast, Remscheid, Elberfelder Straße, die Mikrofon-Übertragungen installierte. Die Lautsprecherstelen sind auf mehreren Fotos im Büchlein auch deutlich mit Beschriftung zu sehen. Der Lenneper selbst war da noch Lehrling, wurde aber an der Trecknase, wo es einen Platz „zum Warmwerden für Pferd und Reiter“ gab, als Turnierhelfer eingesetzt.


Deckblatt und Widmungsseite des Privatdrucks aus dem Jahre 1953 sowie eine Seite der damaligen Sonderausgabe des Remscheider General-Anzeigers. Die Sonderausgabe scheint sehr rar zu sein, nach einem unversehrten Exemplar für eine bessere Reproduktion wird noch gesucht. Ein Programm des Reitturniers liegt noch im Remscheider Stadtarchiv vor. Repros: Lenneparchiv Schmidt

Der erwähnte Adolf Luckhaus, der in den 1950er Jahren auch einmal mit einem Zweispänner von der Lenneper Bahnhofstraße kommend quer über die Kölner Straße einen Bretterzaun durchbrach und mit Wagen und Pferden -angeblich unbeschadet- in einem damals noch existierenden Nachkriegsgraben landete, machte sich auch im Jahre 1953 beim 8. Reitturnier im Lenneper Stadion sehr verdient. Der Remscheider General-Anzeiger und die Lenneper Turnierleitung hatten sich nämlich für die am 2. August 1953 durchzuführende Turnierveranstaltung etwas ganz Besonderes ausgedacht. Eine Sonderausgabe des General-Anzeigers sollte in einer historischen Kutsche ins Stadion gefahren werden, und die Vorstellung war, dass plötzlich auftauchende Cowboys die Kutsche überfallen und ausplündern sollten. Die erbeuteten Exemplare der Sonderausgabe waren dann an das Publikum zu verteilen. Die Widmungsseite des nunmehr in Lennep aufgetauchten Bändchens fasst das Geschehen folgendermaßen zusammen:

Als die 200jährige Postkutsche am Sonntag in das Lenneper Stadion einfuhr, blickten 25.000 Turnierbesucher erwartungsvoll auf das zweispännige Gefährt. In rasender Fahrt lenkte unser Freund Adolf Luckhaus, der Matador der Ländlichen Reiter, den Wagen aus der guten alten Zeit sicher über das Feld, jubelnd begrüßt von begeisterten Pferdenarren, bis der Inhalt der Kutsche, eine Sonderausgabe des „Tüpiter“, von plündernden Cowboys an alle Besucher verteilt war. Der RGA dankt Herrn A. Luckhaus von Herzen für seinen hilfsbereiten Einsatz und übereicht als kleine Anerkennung eine Mappe mit Bildern des denkwürdigen Ereignisses – In treuer Verbundenheit – Remscheider General-Anzeiger (RGA).

Ein paar Eindrücke von der Reit-, Spring- und Fahrveranstaltung im Lenneper Stadion am Sonntag, dem 2. August 1953. Nicht nur die historisch gewandeten Personen und die geschmückten Pferde beeindrucken noch heute, sondern auch die Menschenmassen, die seinerzeit im Stadion versammelt waren. Nach unseren Texten gab es ca.25.000 Besucher der Veranstaltung, manche sprechen sogar von 30.000. Den „alten“ Lennepern tut es heute weh, dass diese Zeiten vorbei sind und das Lenneper Stadion einem Designer-Outlet-Center (DOC) weichen soll. Repros: Lenneparchiv Schmidt

Natürlich ist die damals verteilte Sonderausgabe des RGA, der sich seinerzeit auch als „Bergisches Tageblatt“, „Bergisches Abendblatt“  und  als „die bodenständige Familien- und Heimatzeitung“ empfahl, auch heute noch erhalten. Sie nannte sich seinerzeit „Turnierspiegel“ und war als Werbemittel selbstverständlich kostenlos. Verlag und Schriftleitung äußerten sich darin in humorvoller Weise auch zur Entstehung des Projekts:

 „Als wir in diesen Tagen bei der Turnierleitung anfragten, ob der RGA seinen Lesern und allen Turnierteilnehmern eine besondere Freude bereiten und eine Sonderausgabe, den Turnier-Spiegel, nach Lennep bringen könnte, war man nicht nur einverstanden, sondern höchst begeistert. Allerdings, so sagte man uns, mit einem Lieferwagen können Sie nicht auf den Platz auffahren. Greifen Sie ein gutes halbes Jahrhundert zurück und kommen Sie mit der Postkutsche. Mit einer Postkutsche? Das war leicht gesagt, aber bedeutend schwieriger getan. Schließlich gelang es uns, mit Hilfe der Oberpostdirektion Dortmund ein solches historisches Vehikel auf die Räder zu bringen, den notwendigen Postillon und zünftigen Fahrer sowie  die zu einer Postkutschte passende Reisegesellschaft zu finden. Ihnen, liebe Leser des RGA eine Freude zu bereiten, war unsere Absicht, und es wäre auch fast gelungen, wenn nicht im letzten Augenblick die Cowboys dazwischen gekommen wären. Sie haben es ja selbst erlebt: es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem Wilden Westen nicht gefällt. Zu Ihrer Beruhigung aber sei gesagt, die Beschwerde zur Oberpostdirektion ist bereits unterwegs. Bedauerlich ist nur, dass diese charmante Dame aus einem galanten Jahrhundert hier in Lennep so chockiert wurde, erfreulich dagegen, dass selbst die rauhen Burschen  wussten, welche wertvolle Fracht die Postkutsche beförderte, Sensationen, Sie wissen es, liebe Leser, liebt der RGA nicht. Wenn es trotzdem eine kleine Sensation wurde, so sorgten andere dafür. Wir wollten Ihnen lediglich eine kleine Freude bereiten. Wenn uns das gelungen ist, dann ist der Zweck dieser Postkutschen-Fahrt erreicht. Ihnen allen aber wünscht noch schöne Stunden und dem Turnier einen reibungslosen Verlauf und vollen Erfolg – Verlag und Schriftleitung des Remscheider General-Anzeigers“.

Eine gelungene Showeinlage erfreute damals die Zuschauer, als eine 200 Jahre alte Postkutsche eine Turniersonderausgabe des Remscheider General-Anzeigers ins Lenneper Stadion fuhr. Spannung und Stimmung stiegen, als plötzlich wilde Cowboys in historischer Aufmachung die Kutsche überfielen. Auf dem mittleren Foto steckt der Kopf des Postillions schon in einer Lassoschlinge. Die aus der Kutsche geraubten Exemplare der RGA-Sonderausgabe wurden nach dem Überfall an die Stadionbesucher verteilt. Repros: Lenneparchiv Schmidt

Die Sonderausgabe hob zudem hervor, dass erst die gemeinsame Arbeit zwischen dem Städtischen Verkehrsamt und dem Ländlichen Reit- und Fahrverein den Erfolg der Lenneper Turniere verbürge, und der 1. Vorsitzende des Ländlichen Vereins, der Lenneper Fabrikant Wilhelm Hardt, erläuterte in einem Interview auch die Geschichte der Lenneper Reit- und Fahrveranstaltungen. Danach hatte Lennep schon vor dem ersten Weltkrieg auf dem Gebiet des Reitsports einen Namen, aber erst 1926 wurde der Ländliche Reit- und Fahrverein gegründet. Der Turniersport auf breiter Basis fand allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg statt. Im Jahre 1948 wurde auf der Aschenbahn, dem kleinen Platz im Lenneper Stadion, ein erstes Nachkriegsturnier durchgeführt. Angesprochen auf die seinerzeit anstehende Veranstaltung im Jahr 1953 gab sich Wilhelm Hardt schwärmerisch und betonte, dass allen Wettervoraussagen zum Trotz die Fahnen wehen und die Menschen im Stadion sich von diesem 8. Reit-, Spring- und Fahrturnier begeistert zeigten. Die Atmosphäre der Reiterstadt Lennep sei kaum zu schildern, und unvergesslich bleibe das Bild des weitgezogenen Lenneper Turnierovals mit seinen leichten, schweren und schwersten Hindernissen. Einzigartig dieser Schauplatz großer Reiterspiele, der von Jahr zu Jahr glanzvollere Turnierkämpfe erlebte!  „Die Lenneper Turniere, sieht man von dem internationalen in Aachen ab, stehen im Jahre 1953 heute an der Spitze“. Das sei der stolze Erfolg einer mühsamen Kleinarbeit, ein Erfolg des Ländlichen Reit- und Fahrvereins Lennep und des Verkehrsamtes der Stadt Remscheid, die gemeinsam immer mehr den ausgezeichneten Ruf der Lenneper Turniere festigten.


Der Lenneper Tuchfabrikant Wilhelm Hardt (1917-1980) war seinerzeit 1. Vorsitzender des Ländlichen Reit-und Fahrvereins und von der Vereinsseite her verantwortlich für die Ausrichtung des Lenneper Turniers. Die Sonderausgabe des RGA führte mit ihm ein längeres Interview. Immer wieder fürchtete man damals ein ggf. ungünstiges Turnierwetter. Das mittlere Bild zeigt das damalige Turnierschema mit Bahnen und Hindernissen. Das rechte Bild zeigt den versierten Wagenlenker Adolf Luckhaus mit dem engagierten Postillion, der zwar nicht in den Wilden Westen, aber um so mehr zu der historischen deutschen Postkutsche passte, die man bei der Oberpostdirektion Dortmund auslieh. Repros: Lenneparchiv Schmidt

Als er gefragt wurde, ob denn das 8. Lenneper Turnier die bisher größte Zahl an Nennungen zu verzeichnen habe, und ob es die bisherigen übertreffen werde, antwortete der Vereinsvorsitzende Wilhelm Hardt: „Mit 211 Pferden, den besten Qualitäten an Dressur- und Springreitern haben wir bisher noch nicht erreichte Nennungen zu verzeichnen. Für das S-Springen sind z. B. 52 Pferde und für das M-Springen 80 Pferde gemeldet“.

Das im Jahre 1925 eingeweihte Lenneper Stadion hatte von Anfang an nie nur eine Lenneper, sondern eine gesamtbergische und überregionale Bedeutung. In einem Zeitungsbeitrag der Bergischen Morgenpost zum 70jährigen Jubiläum des Stadions hieß es im Jahre 1995: „In den Jahren nach der Inbetriebnahme 1925 gab es im Stadion buchstäblich nichts, was es nicht gegeben hätte: Fußball, Handball, Faustball natürlich, Turnerfeste, Box- und Ringkämpfe, Reiten und Motorsport, Laientheater vor und auf der Freitreppe, einmal sogar ein Windhundrennen und eine Flugzeugschau, vor allem aber Leichtathletik“. Noch im letzten Jahrzehnt konnte man in Deutschland auf Sportler treffen, die in ihrer Jugend Ende der 1920er Jahre im Lenneper Stadion um den Titel der Reichsbesten etwa beim Speer- oder Diskuswerfen gekämpft und bis in die Gegenwart noch eine gute Erinnerung an die Anlage hatten. Vielen von uns sind für die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg z.B. noch Polizeisportschauen und Military Tattoos (Zapfenstreiche) sowie höherrangige Handball- und Fußballspiele in Erinnerung.

Und was den Pferdesport in den Nachkriegsjahren betrifft, so heißt es heute in einer Internetveröffentlichung des Vereinigten Reit- und Fahrvereins Remscheid e.V.: „Erst 1946 sollte er wieder zu neuem Leben erwachen. Man begann wieder mit dem Training; zuerst auf einer Wiese in Dahlerau und später in der alten Hardtschen Reitanlage in Lennep. Schon bald war wieder der alte Ehrgeiz geweckt und somit auch der Wunsch, an Turnieren teilzunehmen. Für August 1948 wurde das 1. große Reit- und Fahrturnier im Lenneper Stadion geplant. Bedingt durch die Währungsreform musste es jedoch leider in etwas abgespeckter Form stattfinden. Von 1949 – 1955 gab es dann die wirklich großen Turniere. Hier war Deutschlands Elite am Start. Und alle kamen sie gerne Jahr für Jahr wieder ins Lenneper Stadion zurück. Lennep zählte damals zu einem der 10 größten Turnierplätze Deutschlands. Fritz Tiedemann mit seinem legendären Meteor und Hans Günter Winkler mit seiner Halla waren dort zu bewundern. Die Zeitungen berichteten seinerzeit von 25.000, manchmal sogar 30.000 Besuchern“.

Der damalige Postkutschenauftritt samt Cowboyüberfall bewegte ganz Lennep, und das nicht nur im Stadion. Da die historische Postkutsche samt Postillion nun mal da war, machte man selbstverständlich auch eine Rundfahrt durch das Städtchen. Am Berliner Hof wurde angehalten, und die Hotelleitung spendierte ein Glas Pils. Man kann nur hoffen, dass nicht zu viele derartige Halte gemacht wurden, denn Mehrspänner sind nicht leicht zu lenken, und tüchtig ins Horn zu stoßen, das reicht dann in der Regel nicht, den heimatlichen Stall erfolgreich anzusteuern. Repros: Lenneparchiv Schmidt

Das Lenneper Reit-, Spring- und Fahrturnier am 02. August 1953 wurde natürlich auch in der Presse ausführlich gewürdigt. Das RGA-Archiv schickte mir dazu die Berichtsseiten vom 04. August, und es ist dem Text zu entnehmen, dass seinerzeit alle Beteiligten sich über eine Besserung der Wetterverhältnisse am Wochenende freuten. Man sprach von einem „idealen Pferdesportwetter“. „Die Gäste waren begeistert“ hieß es, und hier in Lennep sei „der Reitsport Volkssport geworden“. Ein Zwischentitel hob hervor: „Lennep gehört zu den drei besten Turnierplätzen des Bundesgebiets“, und man berichtete von „Brillanz, Eleganz und Prominenz“.

Als tolle Unterbrechung wurde natürlich auch die Postkutschenaktion gewertet: „Eine gelbe Postkutsche rollt durch die Arena. Cowboys hinterher. Ist hier eine Filmprobe im Gange, ist das Zeitalter der Romantik wiedergekommen? Die Pferde stürmen dahin von einem Mann mit eiserner Faust gelenkt. Die Cowboys kommen näher – Gefahr im Verzug. Zu den Waffen Ihr bergischen Eichen – so schallt es durch den Lautsprecher. Der dramatische Bericht des Ansagers findet augenscheinliche Verdeutlichung. Überfall. Kampfgetümmel, Befreiung – ein befreiendes Lachen. Das Ganze war ein Scherz, den sich der RGA erlaubte. Und über den Häuptern des Publikums flattern Tausende von Zeitungsexemplaren: ein Sonderblatt des RGA zum Reit- und Fahrturnier“  

Auch außerhalb des eigentlichen Parcours sorgte das Gespann von Adolf Luckhaus für großes Interesse, bei den Zufahrten zum Stadion und in der Lenneper Innenstadt, wo die Pferde, der Gespannlenker und der Postillion sich im modernen Verkehr behaupten mussten. Bei der Vorbeifahrt an einem Mercedes hier auf dem letzten Bild wird gerade tüchtig ins Horn gestoßen.

Es ist hier nicht der Ort, alle damaligen Reiterereignisse im Einzelnen nachzuzeichnen. Auch das 8. Lenneper Reit- Spring- und Fahrturnier ist Geschichte, aber eine, die uns im Zusammenhang des eingangs beschriebenen kleinen Bändchens mit den 16 Originalfotos aus dem Jahre 1953 die ehemalige Bedeutung des Lenneper Stadions wieder vor Augen treten lässt. Die damaligen Pferde sind sicherlich schon lange in die ewigen Weidegründe eingegangen. Aber so manch einem „alten“ Lenneper kamen bei unseren Recherchen die Erinnerungen wieder und vielleicht auch die Tränen. Heute ist nicht nur die Tradition der Reiterstadt Lennep Historie, sondern auch die Berühmtheit des Lenneper Stadions, von dem, sollten die Pläne für ein Designer-Outlet-Center (DOC) umgesetzt werden, nichts mehr übrig bleiben wird.

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